Horch und Maybach wohnen hier nicht mehr. Kantgaragen in Berlin

2022-11-15 16:49:21 By : Ms. Linda Tang

2013 vom Abriss bedroht, ist eine der ältesten Hochgaragen Deutschlands nun gerettet: Johanne Nalbach hat das Gebäude für das Design-Shoppingcenter »Stilwerk« umgebaut. Wieviel seitdem noch vom Denkmal übrig ist, hat Falk Jaeger vor Ort überprüft.

Zuweilen nehmen jahrzehntelange Streitigkeiten um Kulturdenkmale doch noch einen glücklichen Verlauf. Karl Heinz Pepper, der Eigentümer der Kant-Garagen in Berlin, hatte 2016 das Handtuch geworfen und verkauft, nachdem es ihm nicht gelungen war, einen Abbruchantrag genehmigt zu bekommen. Zuvor hatte man ihm von allen Seiten versucht klarzumachen, was es mit dem 1929/30 entstandenen Gebäude auf sich hat und für welch ein bauhistorisches Juwel er die Verantwortung trägt. An Superlativen schien kein Mangel: ein einzigartiges Verkehrsdenkmal von nationaler Bedeutung sei es, das einzige erhaltene Beispiel aus der Zwischenkriegszeit, die älteste erhaltene Hochgarage mit Doppelhelixrampe europaweit, ein herausragendes Beispiel für das Neue Bauen – und ein Glücksfall, weil weitgehend unverfälscht erhalten.

Baufällig sei der Betonskelettbau, eine Reparatur nicht zumutbar, argumentierte Pepper. Stimmt nicht, urteilten Gutachter, und der Landeskonservator ließ sich auf keinerlei Diskussion ein. Daraufhin beknieten BDA und Werkbund, Denkmalpfleger und Bauhistoriker den Immobiliengroßinvestor unisono, das Objekt nun denkmalgerecht zu sanieren. Doch der zeigte sich hartleibig und trennte sich schließlich 2016 entnervt von der Immobilie.

Der Projektentwickler Dirk Gaedeke hingegen, der neue Eigentümer, hat zu dem Gebäude einen persönlichen Bezug: »Als Student bin ich hier hochgefahren, da war oben ’ne Autofirma drin: British Leyland. Ich hatte ’nen Mini, da bin ich immer diese Rampe rauf«, erzählt er. Die Architektin Johanne Nalbach, mit der er schon einige Projekte realisiert hatte, bekam den Auftrag, das Haus in enger Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege zu sanieren.

Ihre Arbeit begann mit der Erforschung der Baugeschichte, der Bestandsaufnahme und dem Rückbau späterer Veränderungen. Entworfen hatte den »Kant-Garagenpalast«, wie er ursprünglich hieß, der in Wien gebürtige Architekt Hermann Henry Zweigenthal (1904-68), der sich nach seiner Emigration in die USA Hermann Herrey nannte. Als Bauleiter mit von der Partie: der später wohlbekannte Richard Paulick, sowie als ausführendes Architekturbüro Lohmüller Korschell & Renker.

Der Ingenieur Louis Serlin als Bauherr hatte den für Berlin völlig neuen Bautypus in Auftrag gegeben. Man muss sich vor Augen führen, welchen frappierenden Eindruck der elegante neusachliche Bau mit seiner feingliedrigen Stahl-Glas-Vorhangfassade in der von historistischem Pomp der 1890er Jahre geprägten Kantstraße als Vorbote einer neuen, dynamischen Zeit gemacht haben muss.

Zielgruppe war eine gehoben Charlottenburger Klientel. 300 Karossen fanden auf acht Ebenen Platz. Es gab eine Tankstelle im EG, Werkstätten mit »Schallkammer«, Hebebühne und Waschplätze im Auge der Doppelwendelrampe und für die Chauffeure eine Kantine in der benachbarten Villa Schulze, die auch als Verwaltungsgebäude der Garagengesellschaft diente. Die Kantine wurde allerdings bald als »Groschen Keller« zur berüchtigten Künstler- und Jazzkneipe mit Stammgästen von Heinrich George und Werner Kraus bis Bert Brecht und Kurt Weill.

Die wertvollen Horch, Mercedes, Maybach und Co. waren in verschließbaren, Einzelboxen untergebracht, sogenannten Heinrichsboxen der Tempelhofer Firma Paul Heinrichs mit stählernen Schiebetoren, mit Heizung (!), Bodenablauf und Elektroanschluss.

Nach dem Zweiten Weltkrieg investierten die verschiedenen Eigentümer nichts mehr in die Erhaltung des Gebäudes. Als Parkhaus und Tankstelle diente es noch bis 2017.

Bei der Sanierung ging es darum, originale Spuren und Details zu erhalten, die Inschriften, die Brandschutztore an der Rampe mit ihrer eindrücklichen Patina, sowie in jedem Geschoss eine Reihe der Parkboxen, 36 insgesamt. Sie wurden aufgearbeitet und zu originellen Büro- oder Konferenzräumen umfunktioniert. Autos parken nur noch im UG, das über eine neue Rampe im Nachbarhaus erschlossen ist.

Die rückwärtige Doppelwendelrampe ist nicht mehr in Funktion, bleibt aber begeh- und erlebbar. Anders als bei der berühmten Garagem Passos Manuel in Porto mit ihrer kompletten Art Deco-Tankstelleneinrichtung aus den späten 30er Jahren war das EG der Kant-Garagen mit seiner Tankstelle bis auf zwei seitliche verglaste Diensträume nicht in historischer Form erhalten, wurde ausgeräumt und erhielt zur Kantstraße hin eine Ladenfront. Die gläserne Vorhangfassade wurde aufgearbeitet, die blinden und teils zerstörten Scheiben durch neue Drahtglasscheiben ersetzt. Die mit beigen Riemchen verkleideten Fassadenpartien beiderseits der signifikanten Vorhangfassade zeigen noch Spuren von Granatsplittern des Zweiten Weltkriegs. Die Ganzglasfassade der Rückseite, täglich im Blickfeld tausender Bahnreisender auf dem S-Bahn-Viadukt, wurde komplett erneuert.

Mit dem Hamburger Handelsunternehmen Stilwerk, das Shop-in-Shop-Designkaufhäuser betreibt (und bereits früher einen Standort in der Kantstraße, Nähe Savignyplatz hatte), konnte ein Mieter gefunden werden, der das Ambiente des Hauses zu schätzen und zu nutzen weiß. In industrieller Loftatmosphäre werden Designermöbel und Accessoires präsentiert und Kunstausstellungen gezeigt.

Weitere Flächen dienen als Büros. Das DG, ein späterer Aufbau, nimmt heute eine luxuriöse Penthouse-Wohnung ein, mit opulenter Dachterrasse und großartigem Rundblick über Charlottenburg.

Das EG ist öffentlich zugänglich und wird gastronomisch als eine Art Markthalle betrieben. Im begrünten Hinterhof wird ein Gartencafé eröffnet. Die mit der Garage verbundene benachbarte Villa war im Krieg zerstört worden. In der Lücke entstand ein »Stilwerkboutique-Hotel« mit 62 Zimmern, das sich des EGs der Garage als Foyer bedient und zur Querfinanzierung des Denkmalpflegeprojekts beiträgt.

Eigentümer Dirk Gaedeke ist zwar öfter in Sachen Revitalisierung und Denkmalpflege unterwegs, gilt aber als konsequent rendite- und kostenbewusst und konnte von Johane Nalbach im Zusammenspiel mit der Denkmalpflege zu einigen Zugeständnissen bewogen werden. Im besten denkmalpflegerischen Sinn ist es gelungen, den Charakter und die Seele des Hauses zu bewahren. Im Grunde genommen könnte man mit dem Auto hineinfahren und in die oberen Geschosse gelangen, so weitgehend ist die räumliche Struktur erhalten und die Funktionsweise des »Garagenpalasts« anschaulich geblieben. Hoffentlich entfernen sich die Betreiber nicht nach und nach durch kontinuierliche Veränderungen während des Gebrauchs von dieser Geschichte und diesem Ambiente. Noch spielen sie mit, suchen z.B. historische Zapfsäulen zur Aufstellung und wollen mit einschlägiger Deko dem 30er Jahre-Gefühl noch ein wenig auf die Sprünge helfen.

Wie meist bei derartigen Sanierungen steht der Bau nach der Sanierung als strahlende Schönheit vor Augen und man fragt sich, wie es überhaupt zur groben Vernachlässigung dieser Ikone der Mobilitätsgeschichte kommen konnte.

2013 berichteten wir über den drohenden Abriss der Kant-Garagen.

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